Betriebliche Altersversorgung
Im Zuge der zunehmenden Diskussionen um die Zukunftsfähigkeit des deutschen Rentensystems gewinnt die betriebliche Altersversorgung (bAV) an Bedeutung, doch mit Blick auf deren Verbreitung insbesondere im Mittelstand bleibt viel Luft nach oben. Für uns Grund genug, mit „Mister bAV®“ alias Martin Stolzenburg über die grundsätzlichen Dinge der bAV zu sprechen – und über die weiteren Perspektiven.
Lieber Martin, lass uns gleich voll einsteigen: Welche Rolle spielt die Säule der betrieblichen Altersversorgung im Gesamtsystem der Altersvorsorge in Deutschland?
Grundsätzlich ist die betriebliche Altersversorgung ein wesentlicher Bestandteil einer guten Vorsorgestrategie. Bei Konzernen gibt es einen Teil der bAV häufig vom Arbeitgeber on top, was im Mittelstand jedoch noch immer eine Ausnahme darstellt.
Früher wurde das Gesamtsystem der Altersversorgung als 3-Säulenmodell bezeichnet. Dabei symbolisierte eine der drei Säulen die betriebliche Altersversorgung. Die anderen beiden Säulen waren die gesetzliche Rente und die privaten Vorsorgemodelle.
Seit 2005 spricht man vom 3-Schichten-Modell. Die bAV findet sich in Schicht 2 und die private Vorsorge in Schicht 3. Im Prinzip sind das immer noch die drei Säulen, nur um 90 Grad gekippt. Rein bildlich betrachtet kommt die gesetzliche Versorgung nun besser weg, weil sie nicht mehr so brüchig dargestellt werden kann.
Vom Grundsatz her sollte die geförderte Zusatzversorgung in Schicht 2, zu der neben der bAV auch die sogenannte Riesterrente gehört, aber einen nennenswerten Anteil am Alterseinkommen beisteuern.
Weil in der öffentlichen Darstellung der gesetzlichen Rente meist nur von den Bruttobezügen gesprochen wird, sollte sich jeder kurz vor Augen führen, was aus der ersten Schicht netto zur Verfügung steht. Denn auch im Alter fallen grundsätzlich Steuern und Sozialabgaben an. Die Zahlen der Nettorente sind so erschreckend wie beängstigend, denn mehr als 50% vom (letzten) Nettoeinkommen sind fast nicht zu erreichen.
Durch die staatlichen Förderungen, zu denen die Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit in der Ansparphase zählen, sowie die Arbeitgeberförderung ist die bAV einer vergleichbaren privaten Vorsorge immer deutlich überlegen. Unter dem Strich empfehle ich eine gute Verteilung von Investitionen in die zweite und die dritte Schicht.
Welche Unterschiede gibt es zwischen den verschiedenen bAV-Modellen?
Grundsätzlich geht eine bAV immer vom Arbeitgeber aus. Dieser kann aus fünf Durchführungswegen wählen und er kann entscheiden, wie groß seine Arbeitgeberbeteiligung sein soll. Früher waren rein arbeitgeberfinanzierte Modelle üblich. Diese gab es aber auch selten im Mittelstand. Insbesondere durch die Versicherungswirtschaft getrieben, etablierten sich seit Ende des letzten Jahrtausends auch immer mehr arbeitnehmerfinanzierte Varianten. Durch den seit 2019 verpflichtenden Arbeitgeberzuschuss ist die sogenannte Mischfinanzierung, bei der sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Finanzierung teilen, inzwischen in jeglichen Unternehmensgrößen weit verbreitet.
Recht neu in der bAV-Welt ist das sogenannte Sozialpartnermodell. Für dieses Modell müssen sich Arbeitgeber und Gewerkschaften auf einen Tarifvertrag zur Altersversorgung einigen. Findet man einen Konsens für dieses Modell, entfällt eine garantierte Leistung zum Renteneintritt. Dies ermöglicht andere Kapitalanlagen, birgt aber auch Risiken. Aktuell gibt es weniger als fünf Tarifverträge zu dieser Lösung. Der Hauptgrund für die zaghafte Entwicklung ist die Angst vor möglichen Verlusten an Kapitalmärkten. Wenn keinerlei Rentenhöhe feststeht, löst das bei den Sparern doch mehr Ängste aus als die Fachwelt das im Vorfeld vermutet hat.
Die Abwicklung der bAV macht vielen Unternehmen mit Blick auf die umfangreichen Regelungen eher Angst als Freude. Ist das gerechtfertigt?
Umfangreiche Regeln haben den Vorteil, dass es für die meisten Fragestellungen auch Antworten gibt. Da jeder Arbeitgeber grundsätzlich selbst bestimmen kann, wie er seine bAV gestalten möchte, kann er verwaltungsarme und gut eingespielte Lösungen wie die Direktversicherung präferieren. Dadurch ist die Regelungsdichte sehr überschaubar. Die meisten meiner Kunden bevorzugen dann auch die Direktversicherung, die vor allem bei Kleinunternehmen und im Mittelstand eine hohe Verbreitung hat.
Digitale Verwaltungstools, wie sie von vielen Versicherern und spezialisierten Dienstleistern angeboten werden, finden immer mehr Anwendung und erleichtern die Arbeitsschritte rund um die bAV.
Der wichtigste Tipp für Arbeitgeber ist sicherlich, eine klare Vorgabe für die hauseigene bAV zu machen. Das erleichtert nicht nur die Kommunikation, sondern auch die Abwicklung. Wenn dann noch ein spezialisierter Berater durch den bAV-Dschungel führt, braucht keine Angst aufzukommen. Um auch Freude bei der Belegschaft zu erzielen, was das eigentliche Ziel der bAV sein sollte, muss lediglich eine nennenswerte Arbeitgeberbeteiligung dazukommen. Schon sind alle glücklich.
Wie hat sich vor dem Hintergrund gesetzlicher Entwicklungen wie dem Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) die Akzeptanz der bAV verändert?
Noch immer ist es so, dass die großen Konzerne sehr wertige bAV-Lösungen vorhalten. In diesen Lösungen spielen vor allem steuerliche Fragestellungen eine Rolle, zu denen das BRSG keine Neuregelungen hatte. Hier hat sich somit nicht so viel getan.
Erfreulich positive Entwicklungen hat es abseits von diesen Modellen schon über die letzten fast 20 Jahre gegeben. Das ist zum Teil auch auf das Betriebsrentenstärkungsgesetz zurückzuführen.
So ist der Rahmen des steuerfreien Ansparens in einer Direktversicherung ebenso signifikant erhöht worden, wie auch ein verpflichtender Arbeitgeberzuschuss zur Entgeltumwandlung eingeführt wurde. Aber auch bei der Anrechnung der Grundsicherung haben sich Verbesserungen ergeben, so dass auch bei niedrigen Renten mehr von der Betriebsrente übrigbleibt. Nicht zuletzt sorgt die Einführung eines Freibetrags bei der Krankenversicherung bei Vielen für mehr Netto bei der Betriebsrente.
Welche weiteren gesetzlichen Vorhaben sind diesbezüglich geplant?
Den großen Wurf werden wir in dieser Legislaturperiode wohl nicht erleben. Bei einer Koalition aus drei Parteien müssen vermutlich zu viele Kompromisse und Zugeständnisse gemacht werden. Dennoch liegt der Entwurf eines zweiten Betriebsrentenstärkungsgesetzes inzwischen vor und stellt vor allem beim Sozialpartnermodell größere Änderungen in Aussicht.
Leider erkennt der Gesetzgeber nicht, dass die zusätzliche Altersversorgung, ob nun privat oder betrieblich organisiert, eine intensive Aufklärung sowie einen aktiven Vertrieb benötigt. Dieser wird nur funktionieren, wenn Berater bezahlt werden können. Die Entwürfe sehen aber vorrangig und explizit Lösungen ohne Vertriebskosten vor. Wer soll dann die Beratung durchführen? Gewerkschaften oder Arbeitgeber? Das ist schlicht unvorstellbar. Ob Arbeitgeber bereit sind, Berater gegen Honorar zu beauftragen, ist vor allem im Mittelstand oder bei Kleinunternehmen ebenfalls wenig realistisch. Diese Pläne sind kontraproduktiv.
Weitere Ideen aus dem Gesetzesentwurf, wie die Ermöglichung eines Opting Out, sind zu zögerlich angegangen worden, weil nur Unternehmen mit Betriebsrat darauf zugreifen können sollen.
Kurz zur Erklärung: beim Opting Out wird sofort eine Entgeltumwandlung mit (attraktivem) Zuschuss im Arbeitsvertrag geregelt. Nur bei aktivem Widerspruch des Mitarbeiter wird diese nicht durchgeführt. So könnte die Verbreitung sicherlich stark erhöht werden. Ich würde ein solches Vorgehen sehr begrüßen, wenn es alle Arbeitgeber einführen könnten.
Inwiefern trägt die bAV zur finanziellen Absicherung von Beschäftigten bei? Anders gefragt: Wo stünde unser Rentensystem ohne bAV?
So ganz pauschal lässt sich nur sagen, dass es viel schlechter aussähe. Etwas differenzierter betrachtet hängt es von Branchen, Region und dem Geschlecht ab.
Der öffentliche Dienst hat über die Zusatzversorgungen beispielsweise auch eine nicht unerhebliche Zusatzrente, die in den Bereich der bAV fällt. Aber auch die Chemiebranche ist seit Jahren für eine überdurchschnittliche bAV bekannt. Dass der Osten der Republik schlechter dasteht als der Westen, ist noch immer der deutschen Wiedervereinigung geschuldet.
Zusammengefasst kann ich sagen, dass die Politik die Bedeutung der bAV kennt und mit ihren Fördermodellen und Grundregeln Anreize schafft, diese Versorgung als wichtige Einnahme neben der gesetzlichen Rente zu festigen. Das tut auch not, denn wir brauchen die bAV mehr als je zuvor!
Welche gesetzlichen und weiteren Entwicklungen wünschst Du Dir mit Blick auf eine bessere Akzeptanz und weitere Verbreitung der bAV?
Seit fast 30 Jahren berate ich in Sachen Altersversorgung. Das Verrückte ist, dass in meinen vielen hunderten Beratungen fast jeder seine Versorgungslücke als groß bezeichnet. Die Aussage, „wer weiß, ob ich überhaupt noch etwas bekomme“ begegnet mir gefühlt in jedem zweiten Beratungsgespräch.
Die Lösung, dass nur Sparen, also Konsumverzicht, zum Ziel führt, kennt auch jeder. Eine ausreichende Investition fürs Alter tätigen unter dem Strich aber nur die Wenigsten. Konsum ist irgendwie doch attraktiver. Das nennt sich wohl kognitive Dissonanz.
Wenn der Gesetzgeber weitere Anreize schafft und der Arbeitgeber seine Fürsorge über das gesetzlich verpflichtende Maß hinaus ernst nimmt, kann die bAV einen nennenswerten Anteil zum Verkleinern der Versorgungslücke beitragen.
Ich wünsche mir vom Gesetzgeber beispielsweise die Chance auf ein Opting Out für alle und Erleichterungen bei der Mitnahme von Versorgungen, wenn der Arbeitgeber gewechselt wird. Auch die Angleichung der Grenzen für steuer- und sozialversicherungsfreies Sparen würde der bAV sicherlich einen Schub verpassen.
Des Weiteren setze ich mich für eine hohe Qualifikation von Beratern ein. Wenn die bAV-Beratung nur noch durch nachweislich ausgebildete Spezialisten erfolgt, fühlen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer besser aufgehoben und Zusammenhänge können besser verstanden werden.
Außerdem sollten auch Personaler gezielt(er) zum Thema bAV geschult werden. Nicht zuletzt plädiere ich dafür, dass Finanzbildung ein Unterrichtsfach in Schulen wird.
Spielt die bAV in Sachen Mitarbeiterbindung eine spürbare Rolle?
Das Wort Mitarbeiterbindung gefällt mir persönlich nicht, denn welcher Mitarbeiter möchte gerne gebunden sein? Ich spreche lieber von „Magnetwirkung“.
Schauen wir uns beispielhaft zwei Arbeitgeber aus Sicht eines Bewerbers an:
Arbeitgeber A gestaltet seine bAV mit einem nennenswerten Arbeitgeberanteil, belohnt eine längere Zugehörigkeit mit steigenden Einzahlungen und kommuniziert bzw. zelebriert diesen Benefit mindestens einmal jährlich gegenüber seiner Belegschaft.
Arbeitgeber B hat die Möglichkeit der Entgeltumwandlung in einer Schublade liegen, die er nur auf Nachfrage öffnet. Als Zuschuss gibt er lediglich den gesetzlich verankerten Prozentsatz, der ihn nicht einen Cent kostet.
Möchten Sie nun lieber bei Arbeitgeber A oder bei Arbeitgeber B anfangen und eine lange Zugehörigkeit anstreben? Die Magnetwirkung hängt somit entscheidend von der Positionierung der bAV im Benefit-Paket eines Arbeitgebers ab.
Vielleicht kann ich auch für die erfahrenen Leser noch eine zusätzliche Info beisteuern:
Wird der Beitrag für eine bAV nur vom Arbeitgeber getragen, kann eine sogenannte Erdienbarkeitsfrist vorgegeben werden. Die Frist ist von ursprünglich zehn Jahren nach einem Rückgang auf fünf Jahre zwischenzeitlich auf drei Jahre abgesenkt worden. Vorzeitiges Ausscheiden vor dem Leistungsfall innerhalb dieser Frist führt für einen Mitarbeiter somit dazu, dass bereits aufgelaufene Anwartschaften, also die anteiligen Rentenansprüche, verfallen. Wenn nur lange Betriebstreue zu verbleibenden Rentenansprüchen führte, verhinderte so eine bAV durchaus eine Kündigung. Seit es nur noch drei Jahre sind, hat diese Gestaltungsmöglichkeit etwas an Kraft verloren.
Mein Appell an die Arbeitgeber lautet: bitte die bAV durch attraktive Arbeitgeberleistungen stärken. Dann kommen die Besten und sie werden lange bleiben.
Lieber Martin, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte
Markus Matt
(Gastautor)
Martin Stolzenburg
Martin Stolzenburg ist „Mister bAV®“ und seit fast 30 Jahren ausschließlich als Berater für die betriebliche Altersversorgung aktiv. Seine Kunden finden sich deutschlandweit im Mittelstand wieder. Als geschäftsführender Gesellschafter des Maklers Pro Found – betriebliche Vorsorge GmbH & Co. KG in München beschäftigt er fünf Mitarbeiter, die sich vorrangig um die Verwaltung der bAV-Verträge kümmern.
Regelmäßig wird er von der deutschen Makler Akademie (DMA) als Trainer und Referent gebucht, um das bAV-Wissen an Berufskollegen weiterzugeben.
Privat sitzt Martin Stolzenburg gerne auf dem Rennrad und hat eine Dauerkarte beim FC Bayern Basketball.